Es gibt einen alten Nazi-Antisemitismus, der Juden für eine minderwertige Rasse und ihre Existenz für entbehrlich hält. Die bekannten Verschwörungstheorien inklusive. Und sei es nur als unreflektierter Teil des Gesamtpakets Neo-Nazitum oder um pubertierend zu provozieren. Schon aus rechtlichen Gründen haben nur wenige diese Weltanschauung in den letzten Jahrzehnten öffentlich zum Ausdruck gebracht. Und soweit sie noch rudimentär in Parteien wie der AfD und der FPÖ gepflegt wurde, ging sie unter hinter der Zurschaustellung öffentlicher Israel- und Judensympathie, was bis zu einer Gruppe „Juden in der AfD“ reichte, zum Schulterschluss mit coronaleugnenden „Juden für Aufklärung“ und zahllosen Davidsternen und Menora in den Likeprofilen rechtsextremistischer Trolle in den sozialen Medien. Viele islamophob geprägte Juden haben wie Broder diese Umarmung von rechtsextremen Muslimhassern dankbar angenommen. Wie Trump stellten diese Rechten sich nach dem Terror des 7. Oktober 2023 voller Verve an die Seite Israels, als wollten sie die besten Unterstützer Israels sein. Doch seit Israel mit Kriegsverbrechen und Völkermord auf diesen reagiert, bröckelt diese Fassade und alter Judenhass und alte nazistische Narrative brechen sich wieder Bahn. „Der Jude“ als Schutzschild hat ausgedient, man kann das Judentum wieder offen und ungestraft angreifen. Das Overtone-Fenster hat sich verschoben. Man könnte auch sagen, Netanjahu hat ihre Meinungsfreiheit erkämpft.
Dann gibt es den linken Antisemitismus. Er ist durchtränkt mit Antiamerikanismus, marxistischer Befreiungsideologie und Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfes der Achse Iran-Sowjetunion. In ihm ist kein Platz für ein Existenzrecht Israels. Jeder Jude ist dort pauschal Zionist und jeder Zionist ein Imperialist. Es hat also eine gewisse Berechtigung, dort Antizionismus als antisemitischen Code zu vermuten. Was bei dieser pauschalen Unterstellung, meist aus zionistischen Kreisen, allerdings außen vor bleibt, ist die Tatsache, dass gar nicht so wenige Juden gar keine Zionisten sind, sondern sogar selbst gegen Zionismus auftreten. Dass viele jüdische Einwanderer nach Palästina in Frieden mit den Palästinensern leben wollten und einen jüdischen Staat abgelehnt haben. Oder schon früh eine Zweistaatenlösung anstrebten. Dass die erneute Eroberung Palästinas nach der von den Kanaanitern, oder Forderungen, die sich auf religiösen Glauben stützen, keine rechliche Legitimation für Landraub ist. Einen moralischen Anspruch auf dieses Land für Juden gibt es nicht. Und ein rechtlicher ist nur durch die Anerkennung der UN entstanden, die ohne den Holocaust wohl kaum stattgefunden hätte. Dieser Anspruch ist weitgehend anerkannt in der Welt. Falls es hier eine Rolle spielt, auch von mir. Er reicht aber weder nach Gaza noch ins Westjordanland. Beides schickt Israel sich an offiziell zu annektieren. De facto hat es das in zunehmendem Maße schon lange. Es gibt aber in der Tat wenig Israelis, die ein Israel in den Grenzen von 1948 respektieren. Eine große Mehrheit ist für weitergehende Annexion. Und diese Zionisten darf man mit Recht als Imperialisten bezeichnen. Und die, die das kritisieren nicht als Antisemiten. Solange sie nicht Krieg und Terror gegen alle Israeli oder sogar alle Juden rechtfertigen oder fordern.
Und da fängt der dritte Antisemitismus an. Der fiktive. Der, mit dem neuerdings inflationär jeder gelabelt wird, der den Völkermord des israelischen Regimes kritisiert. Wenn es nicht eine ungute Assoziation zum Opfernarrativ der „Nazikeule“ herstellen würde, müsste man von der „Antisemitismuskeule“ reden, mit der jede Kritik an Israel mundtot gemacht wird. Man muss nur Worte wie Kriegsverbrechen oder Völkermord tippen, schon wird man in den sozialen Medien aggressivst angegangen, noch ehe man die weitreichenden, faktenbasierten Begründungen formuliert hat. Obwohl selbst israelische Historiker und Holocaustüberlebende ihr Grauen zum Ausdruck bringen, über das was sie in Gaza und zunehmend auch im Westjordanland sehen. Als da wären: willkürliches Ermorden von Zivilisten, menschliche Schutzschilde, Folter und sexualisierte Gewalt, Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser, Jagd auf Journalisten, Helfer und medizinisches Personal, Entzug von Nahrung, Wasser, Strom, medizinischer Versorgung, Vertreibung, Lager, Deportationen und Schießübungen auf Kinder. All das sind Merkmale von Kriegsverbrechen, Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so wie sie in Nürnberg abgehandelt wurden. Und die Ignoranz mit der man angegriffen wird, wenn man mit dem Finger darauf zeigt, scheint in den wenigsten Fällen von Juden oder Israelis zu kommen. Es sind oft linksliberale deutsche Politiker, die scheinbar am liebsten Juden wären, um sich in Ihrem Bedürfnis deutsche Schuld auch in der 2. oder 3. Generation auswetzen zu müssen, ungehemmt entfalten können, indem sie blind auf alles und jeden einschlagen. Beispielsweise auch auf die Stele des Zentrums für politische Schönheit, die auch von vielen Juden befürwortet wurde. Vor allem aber auf jeden, der Deportationen und Krieg gegen die Zivilisten in Gaza kritisiert und den Angriffskrieg gegen den Iran für nicht legitimiert hält, geschweige denn sinnvoll. Wer allerdings meint, es gäbe für verschiedene Menschen oder Staaten zweierlei Menschen- oder Völkerrecht, der ist dem Faschismus schon ganz nah! Egal, ob er Trump heißt, Putin, Netanjahu oder ob er im deutschen Parlament sitzt.
Man sollte also in Zukunft besser genau sagen, welchen Antisemitismus man meint. Den rechten, den linken oder den Fiktiven.
Und wenn mir jetzt jemand wutentbrannt entgegenschleudert: „Man kennt das, der Jude ist wieder selbst schuld!“ – Nein, nicht „der Jude“! Netanjahu führt Dauerkrieg um nicht für seine Korruption ins Gefängnis gehen zu müssen. Er ist ein Abbild Putins, der auch beständig neue Friedensverhandlungen führt, mit Forderungen seinerseits, die völlig inakzeptabel sind. Nur um Friedfertigkeit vorzutäuschen, während er seinen Krieg in der Realität beständig ausweitet. Zur Unterstützung hat er sein Kabinett mit rechtsextremen Terroristen besetzt. Zusammen sind sie das Schlimmste, was den Juden global seit dem Holocaust widerfahren sein dürfte. Die Folgen ihrer Politik für alle Juden beginnen gerade erst aufzuflackern. Der Hass der jetzt Juden weltweit entgegenschlägt hat seine Ursache hauptsächlich nicht in DEM Juden, sondern in DEN Juden Netanjahu, Smotrich und Ben Gvir.

https://www.3sat.de/film/dokumentarfilmzeit/the-bibi-files-die-akte-netanjahu-100.html
