Heilt euch selbst!

Als nach der NS-Zeit das Grundgesetz verfasst wurde und andere Gesetze geändert und ergänzt wurden, stand man unter dem frischen Eindruck der Rechtlosigkeit und des Rechtsmissbrauchs der nationalsozialistischen Herrschaft. Dem Strafrecht wurden in Deutschland Paragraphen gegen Volksverhetzung und den Missbrauch von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen und in Österreich Verhetzung und Wiederbetätigung hinzugefügt. In Österreich schrieb man sogar den hehren Anspruch in den Staatsvertrag, dass nicht nur alle nationalsozialistischen sondern sogar alle faschistischen Organisationen fürderhin verboten sind. Ironie der Geschichte: ein Jahr später konnten ranghohe Nazifunktionäre und SS-Offiziere die FPÖ gründen. Was die Juristen bezweckten, war aber jedenfalls klar. Die Gesetze sollten eine Wiederholung des Naziunrechts verhindern.

Doch nicht nur das Recht kann eine scharfe Waffe gegen Faschismus und anderes Unrecht sein. Eine immer wieder unterschätzte und deshalb auch von Faschisten erbittert bekämpfte Waffe ist die Satire. Werner Fink war ein Meister darin. Er kämpfte mit dem Florett der Worte gegen die Nazis. Dieter Hildebrandt war sein gelehriger Schüler, der es zu eigener Meisterschaft brachte. Heute beherrscht kaum noch jemand diese Kunst. Sie wurde weitgehend verlernt, weil sie Jahrzehnte nicht mehr benötigt wurde. Ein Meister dieser Kunst mit der Zeichenfeder ist allerdings Gerhard Haderer. Er beherrscht nicht nur den Säbel wie Deix, sondern auch die feine, tiefgehende Spitze. Schaut man sich sonst in der deutschsprachigen Satirelandschaft um, sieht man vor allem Hämmer.

Leider sind es auch oft nur noch Hämmer, die Juristen als Satire durchgehen lassen oder in der Lage sind zu verstehen, wenn es in den Grenzbereich zu oben genannten Gesetzen geht, die intendiert waren Faschismus zu verhindern. Man erlebt immer häufiger, dass diese Paragraphen in der umgekehrten Richtung verwendet werden. Dass die Gesetze zugunsten derer genutzt werden, die sie verhindern sollten. Oder zumindest gegen die, die Faschismus bekämpfen.

Ein einfaches, fast alltägliches Beispiel: Jemand wird mit rechtsextremistischer Propaganda – das kann auch russische oder amerikanische sein – zugetextet und da ihm der Geduldsfaden reißt, ruft er „Heil Hitler“. Vielleicht sogar noch verbunden mit einem Hitlergruß. Was er damit sagen will ist, für jeden der ihn kennt, unzweideutig: „ihr seid Nazis“. Das ist keine Satire, es ist möglicherweise nicht einmal Ironie. Müsste er vorher sagen: „Achtung, dass ist jetzt ironisch gemeint“? Oder sollte er es gar nichts sagen und die Propagandadusche weiter über sich ergehen lassen? Es gibt wahrscheinlich nicht wenige Richter und Staatsanwälte, die denjenigen verurteilen oder anklagen würden, auf Basis von Paragraphen, die das Gleiche verhindern sollen, wie derjenige will, der „Heil Hitler“ ruft. Nur weil ihnen der Kontext fehlt, wie dieser Ausruf gemeint ist. Aber müsste hier nicht – in dubio pro reo – die ansonsten öffentlich geäußerte Haltung der Person zu Rate gezogen werden, wenn man die Anwendung des Rechts hier nicht pervertieren will? Zum Glück tun das wohl die meisten Staatsanwälte in Deutschland (noch). In Österreich bin ich mir da nicht so sicher.

Gleiches muss auch im Fall Norbert Bolz gelten. Er wird sicher nicht für sich in Anspruch nehmen ein Antifaschist zu sein, er ist rechtskonservativ, aber ganz sicher kein Befürworter des Nationalsozialismus. Was in §86/4 StGB steht, gilt auch für §86a: „Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“ Eine Durchsuchung bei jemand, dessen Haltung zur Verfassung außer Frage steht, dürfte aufgrund so eines offensichtlich ironischen Kommentars nicht passieren. Und da der Hinweis an die Staatsanwaltschaft angeblich von einer Meldestelle für Hass oder Rechtsextremismus im Netz kam: Auch Linke oder Antifaschisten dürfen diese Paragraphen nicht missbrauchen, um Personen mit unliebsamer Meinung mundtot tu machen!

Gartenzwerg darf Hitlergruß zeigen – Der Spiegel

Urteil gegen Scheuba – Die Presse

Der Fall Bolz – TAZ

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